|
|
|
PDF
RTF
Die
Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch
die
Großzügigkeit der Stiftung de Brzezie Lanckoronski ermöglicht.
Die Geschichte der im August und September
1944 im Warschauer Aufstandkämpfenden Soldaten der Heimatarmee
endete nicht mit dem Tag der Unterzeichnung der Kapitulation am
2.10.1944. Es begann nun eine neue Etappe des Lebens und der
Erfahrungen in den Lagern für Kriegsgefangene, die auf dem
Gebiet des III. Reiches verstreut waren.
Vielfältig war das Los der Aufständischen,
die während der Kämpfe in der Hauptstadt in die Hände des
Feindes gerieten. In den ersten Augustwochen wurden sie wie
Banditen behandelt: wenn sie nicht durch Erschießungen in
Warschau gleich den Tod fanden, so erwartete sie die Deportation
in Konzentrationslager oder zu Zwangsarbeiten nach Deutschland.
Die eindringlichen Interventionen bei den
Alliierten seitens der polnischen Exilregierung in London
zeigten Wirkung. Im Kapitulationsvertrag, der am 2. Oktober 1944
in Ozarow durch beide Seiten unterzeichnet wurde, finden sich
Beschlüsse, bezüglich der im Aufstand kämpfenden Männern und
Frauen. Diese gestehen ihnen Kombattantenrechte und daraus
folgend - den Status von Kriegsgefangenen zu - seitdem wurden
sie in Strafgefangenen- und Offizierslagern interniert. Ihre
Aufsicht und Betreuung fällt ausschließlich in den
Kompetenzbereich der deutschen Streitkräfte - der Wehrmacht. Die
Kapitulationsurkunde erkennt den in Warschau kämpfenden Männern
und Frauen gleiche Gefangenenrechte zu. Dies war das erste
Beispiel in der Geschichte, dass Frauen als Kriegsgefangene
hinter Stacheldraht in Lagern interniert wurden.
Zur Zeit des Ausbruchs des Warschauer
Aufstandes am 01.08.1944 zählte die Heimatarmee in Warschau ca.
5.000 Frauen. Sie hatten dieselben Rechte und dieselben
Pflichten, wie die Männer. Sie nahmen an allen Aktionen der
Heimatarmee teil und arbeiteten im Dienst der Organisation, der
Versorgung, des Nachrichtendienstes, der Sabotage, des
Sanitätswesens, der Information und der Propaganda. Fielen sie
in die Hände der Deutschen, erwartete sie das gleiche Schicksal,
wie ihre männliche Kameraden: das Erschießungskommando, das
Gefängnis, oder das Konzentrationslager.
Vom 5. Oktober an begannen die
Aufständischen Warschau zu verlassen. Zu Fuß marschierten sie in
die ca. 20 km entfernten zwei Durchgangslager: Pruszkow und
Ozarow. Die Insassen der Lazarette der Aufständischen und die
Verwundeten wurden auf dem Westbahnhof in Züge verladen und ins
Lazarett-Lager in Zeitheim gebracht (ca. 586 Frauen befanden
sich in diesem Transport). Die zweite Gruppe der Verwundeten
fuhr von Pruszkow in die Stalags XIA nach Altengrabow und Groß -
Lübars, darin befanden sich ca. 445 Frauen.
Die Transporte von Ozarow führten in
verschiedene Richtungen:
 | nach Nordwesten ins Stalag XB in Sandbostel |
 | ins Stalag XIB in Fallingbostel |
 | ins Zweitlager in Bergen-Belsen. |
Ein anderer südwestlich gerichteter
Transport führte die Gefangenen in das riesige Durchgangs-Stalag
344 in Lamsdorf (Lambinowice). Von hier aus wurden die Frauen in
das Stalag IVB in Mühlberg und weiter in das Stalag IVB in
Altenburg überführt. Die weiblichen Offiziere wurden im Oflag
IXC in Molsdorf interniert: 382 Offiziere und 38 Gefreite.
Vom Dezember 1944 an begannen die Deutschen
die Frauen aus der Heimatarmee im Straflager VIC in Oberlangen
zu sammeln.
Die fatalen Lagerbedingungen waren ein
gemeinsames Schicksal aller kriegsgefangenen Frauen. Die
deutschen Machthaber waren auf die Unterbringung mehrerer
tausend Frauen, die den besonderen Status von Kriegsgefangenen
besaßen, nicht vorbereitet. Die Männer wurden in den seit 1939
bestehenden und bewirtschafteten Lagern untergebracht, die unter
der Obhut des Internationalen Roten Kreuzes standen. Die Frauen
wurden in ausgegrenzten Baracken „eingepfercht", die mit
Stacheldraht vom restlichen Lager getrennt waren. In der Enge,
der Kälte, dem Fehlen grundlegender Hygieneeinrichtungen und oft
hungernd, mussten sie den schweren Winter 1944/45 überstehen.
Bedrängt vom Überreden und von Drohungen, auf den Status der
Kriegsgefangenen zu verzichten und in den „zivilen Status"
überzutreten, was erlaubt hätte, sie in der Industrie des
Dritten Reiches zu beschäftigen, gaben sie jedoch dem Druck
nicht nach und erhoben deutlichen Widerspruch, wie er in der
Genfer Konvention von 1929 bezüglich der Rechte von
Kriegsgefangenen begründet war.
In den einzelnen Lagern organisierte sich
das Gefangenendasein unter dem Kommando von noch in Warschau
dazu bestimmten Offizieren, die ihre Offiziersgrade
verheimlichten, um ihre Kameradinnen in die Stalags zu
begleiten. Ihr Ziel war die Betreuung besonders junger Mädchen,
als auch die Aufrechterhaltung der Disziplin in den Reihen der
Heimatarmee hinter dem Stacheldraht, indem sie das Leben unter
vollständig neuartigen Bedingungen organisierten.
Unter der Vielzahl der Internierten fanden
sich Personen mit höherer Bildung, Mehrsprachige, Künstlerinnen,
Bildungsfunktionäre. So wurde eine Serie von Vorträgen,
Gesprächen und kulturellen Betätigungen in Gang gesetzt, um die
Gemüter zu beleben und einen psychischen Zusammenbruch zu
verhindern.
Seit Dezember 1944 begannen die Deutschen,
Frauen im Straflager VIC in Oberlangen zu sammeln. Am Warschauer
Aufstand nahmen rund 5.000 Frauen teil, ca. 3.000 wurden
gefangen genommen, und nach Oberlangen kamen 1.721 Personen.
Das Lager Oberlangen hatte eine äußerst
„dunkle" Vergangenheit. Auf den sumpfigen Gebieten des Emslandes
im Nordwesten Deutschlands gelegen, entstand es als eines von
vielen Konzentrationslagern zwischen 1933 und 1938 zur
Internierung von Gegnern des Hitlerregimes. Während des Zweiten
Weltkrieges wurden einige dieser Lager von der Wehrmacht
übernommen, um darin Kriegsgefangene Soldaten aus den besetzten
Ländern Europas zu internieren. Das harte Klima, die
Sklavenarbeit, Hunger und Krankheiten verursachten, dass das
Lager für sie zu einem Ort der Vernichtung wurde.
Im Oktober 1944 wurde das Straflager VIC in
Oberlangen aufgrund völlig unzureichender Lebensbedingungen aus
dem Verzeichnis der Kriegsgefangenenlager gestrichen. Das
Internationale Rote Kreuz in Genf konnte also nicht wissen, dass
die polnischen Kriegsgefangenen Frauen gerade hier interniert
wurden.
Die Deutschen verwendeten das Lager
Oberlangen weiterhin als Straflager, und sie versammelten dort
die polnischen „AK-lerinnen"(Kämpferinnen der Heimatarmee) als
rebellisches und unfügsames Element, weil wir den eindringlichen
Überredungen, als Zivilpersonen für die deutsche Kriegsindustrie
zu arbeiten, nicht nachgaben....
Die Bedingungen, unter denen wir den Winter
1944/1945 überleben sollten, waren äußerst beschwerlich. Die
vermoderten Holzbaracken, in denen Fenster und Türen undicht
waren, die für 200 Personen vorgesehenen Räume mit dreistöckigen
Pritschen, die dünnen Strohsäcke, die zwei eisernen Öfchen in
jeder Baracke, die mit feuchtem Torf gefeuert wurden, der mehr
rauchte als heizte. In einer der Baracken -eine Reihe von
Blechtrögen mit spärlich fließendem Wasser (wenn es überhaupt
Wasser gab) und dahinter einige primitive Latrinen, stellten die
ganze sanitäre Einrichtung dar.
Acht Baracken wurden durch gesunde Personen
bewohnt, im „Vorlager" befand sich die Lazarettbaracke, die
Küche, die Schneiderei, das Bad und die Entlausung. Ich erinnere
mich nicht, dass die letzteren in Betrieb gewesen wären. Eine
der leerstehenden Baracken wurde als Kapelle vorgesehen, und die
zwei übrigen (unbesetzten) dienten uns als „Brennholzreserve":
wir brachen das Holz aus den Pritschen, den Fußböden, den Rahmen
heraus, bis es zu harten Bestrafungen aufgrund der Zerstörung
von „Staatsgut" seitens des deutschen Lagerkommandos kam.
Die Verpflegung war ähnlich wie in anderen
Lagern: früh und abends lauwarmer Kräutersud, oft verschimmeltes
Brot, hin und wieder ein Stück Margarine oder ein Löffel
Rübensaft. Zu Mittag bitterer Grünkohl, madige Erbsen und zwei
oder drei Pellkartoffeln.
Das Ende des Krieges wirkte sich verheerend
auf die Zulieferungen aus. Die Pakete des Roten Kreuzes trafen
nicht oder nur sehr spärlich aus den vorher belieferten Lagern
ein, wenn sie nicht von den Deutschen gestohlen oder böswillig
im etwa 12 km vom Lager entfernten Bahnhof Lathen
zwischengelagert wurden. Das Rote Kreuz in Genf hatte keine
Informationen darüber, dass das Lager Oberlangen erneut in
Betrieb genommen wurde.
Trotz der schweren Bedingungen erwies sich
die Organisation des Lagers als fähig und wirksam. Da es bereits
einige Erfahrungen des Gefangenenlebens sammeln konnte, führte
Oberlangen die militärische Ordnung und Disziplin fort.
Die Deutschen erkannten die Funktion der
polnischen Lagerkommandantin nicht an. Doch da Oberleutnant
Irena Mileska „Jaga", die bereits durch den Befehl vom 3.
Oktober 1944 von der Kommandantin des Militärdienstes für Frauen
Major Maria Wittek zur Kommandantin des Stalags bestimmt, im
Lager zusätzlich zum „Vertrauensmann" gewählt wurde, brachte sie
diese Tatsache in eine günstige Position gegenüber den deutschen
Machthabern.
Das deutsche Kommando setzte sich aus vier
Personen zusammen: dem SS-Oberst Miller, der bald von Hauptmann
Mehler ersetzt wurde, dem Quartiermeister Leutnant Treiber (der
ordinär, bösartig und in seinen Kontakten den Polen ein Erzfeind
war), dem Oberfeldwebel Majchrzak und dem Unteroffizier
Zwieklick (von uns Swietlik-Glühwürmchen genannt); außerdem drei
deutsche Frauen ohne näher bestimmten Dienstgrad, die uns durch
plötzliche Kontrollen, Revisionen und Inspektionen überraschten.
Das Lager wurde von 80 Wärtern bewacht.
Von polnischer Seite wurde die Organisation
des Lagers von der eisernen Hand der „Jaga" geführt. Um unter
den 1.721 Frauen im Alter von 14 bis 60 Jahren, von
unterschiedlichem gesellschaftlichen Stand und
verschiedenartiger Ausbildung die Disziplin aufrecht zu
erhalten, bedurfte es einiger Standhaftigkeit aber auch
psychologischer Kenntnisse. Die „Jaga" stellte sich einen
kompetenten Stab zur Ausübung dieser verantwortungsvollen
Tätigkeit zusammen. Die Kommandantinnen der einzelnen Kompanien
(1 Baracke=1 Kompanie), verheimlichten ihre Offiziersgrade, um
alle internierten Frauen unter ihre Obhut zu stellen. Dies
stellte sich als notwendig heraus, besonders in Bezug auf
Minderjährige, aber auch auf jene, die psychisch instabil waren.
Das „Stacheldraht-Syndrom" suchte sich unter uns seine Opfer.
Als Lebensgrundlage in Oberlangen stellte
sich nicht nur die Disziplin, sondern auch die Verbundenheit und
Kollegialität heraus. Als im Januar 1945 die Geburten begannen
(es gab Frauen, die Warschau schwanger verließen) - 10 Kinder
wurden in Oberlangen geboren, sagte die Kommandantin „Jaga" auf
dem Appell: „Ein Kind wird geboren, es wird nackt sein, denn die
Mutter besitzt nichts." Dies genügte. Jede, die irgend etwas auf
die Seite gelegt hatte: ein Stück Bettlaken, ein Tuch, eine
Bluse, oder ein Hemd - trennte es auf, nähte, wusch es. Für das
erste Neugeborene wurden so viele Jäckchen, Käppchen und Windeln
angefertigt, dass es noch für die folgenden Kinder reichte. Als
Wiegen dienten die Verpackungskartons des Roten Kreuzes.
Täglich gingen Arbeitstrupps zu
Pflichtarbeiten hinaus: in den Wald, um Brennholz zu holen; ins
Torfmoor, um das ausgegrabene Torf einzuholen; auf die Wiesen,
um die Latrinen auszuleeren. Die freien Stunden wurden für
Bildung, kulturelle Tätigkeiten und für militärische
Instruktionen genutzt.
Im Lager fanden sich Frauen mit
vielfältigsten Begabungen, die sie ihren Kolleginnen, im Rahmen
ihrer Möglichkeiten weitergaben. So, wie bereits in vorherigen
Lagern, wurden Gespräche, Vorträge und künstlerische Aktivitäten
durchgeführt. Mit Hilfe eines durch viele Revisionen
geschmuggelten Taschenmessers oder eines aus der Pritsche
gezogenen Nagels, entstanden subtile Becher, Halsgehänge oder
Bilder aus einfachen Materialien, wie Konservendosen,
Stoffresten, Stroh.
In religiöser Hinsicht hatte das Lager
keinen festen Kaplan. Nach häufigem Drängen erklärten sich die
Deutschen damit einverstanden, dass der Kaplan eines Lagers für
italienische Kriegsgefangene aus dem Umkreis, von Zeit zu Zeit
kommen und eine heilige Messe in Oberlangen abhalten durfte. Es
blieb die Frage der Beichte und der geistlichen Unterstützung,
die der italienische Pfarrer den Polinnen nicht geben konnte.
Auf Bitten zweier Personen (der Kommandantin Leutnant „Zbigniewa"
und der diplomierten Krankenschwester „Maryla") wurden sie vom
italienischen Pastor als Vertraute vereidigt. Aus der Initiative
dieser Frauen entstand eine „Fragen-Box", deren Ziel es war, die
wesentlichsten, aber für eine Äußerung zu persönlichen Fragen
aufzugreifen, um sowohl psychischen Störungen als auch
Selbstmordversuche zu verhindern, die in Oberlangen aufzutauchen
begannen. Diese Initiative wurde von Seiten der Internierten
wohlwollend aufgenommen.
Mit dem Anbruch des Frühlings begannen sich
die Bemühungen der Deutschen zu häufen, sich in unsere Gunst
einzuschleichen. Eines Tages reiste ein von den deutschen
Machthabern als Freund Hitlers angekündigter Mann an und
versuchte 3 Tage lang, die polnische Lagerkommandantin von einer
positiven Einstellung der Deutschen - Polen gegenüber im
Allgemeinen und uns gegenüber im Besonderen - zu überzeugen. Es
ging darum, eine Frauenlegion gegen die Rote Armee zu schaffen.
Unsere Führung empfahl dem Herrn, er möge zum Kommandanten der
Heimatarmee, General Bor-Komorowski, der zu jener Zeit noch
Kriegsgefangener im Reich war, zu reisen, um eine Entscheidung
darüber von ihm herbeizuführen.
Nach dem vergeblichen Besuch des Freundes
vom Führer traf eine Gruppe deutscher Offiziere ein und
beabsichtigte eine Erklärung von der polnischen
Lagerkommandantur über die Wahrung der Genfer Konventionen
gegenüber den polnischen kriegsgefangenen Frauen zu erhalten.
Der Gruppe stand der Hauptverantwortliche über die
Strafgefangenenlager in der Region vor, der versuchte, unsere
Führung zu veranlassen, einen Bericht über das beleidigende
Verhalten von Leutnant Treiber gegenüber der Kommandantin „Jaga"
zurückzuziehen. Dieser sagte zu ihr: „ich spucke auf die Genfer
Konvention" und schoss in ihre Richtung, glücklicherweise nicht
sehr genau. Diese sich häufenden Besuche zeugten vom baldigen
Ende des Krieges und der Niederlage Deutschlands.
Am 12. April 1945 wurde das Lager Oberlangen
um 18.00 Uhr von Soldaten der Ersten Panzerdivision unter
General Maczek befreit. Die riesige Freude über die uns durch
die Polen bescherte Freiheit dauerte einige Wochen lang, doch
war der Krieg noch nicht beendet, und wir mussten noch einen
Monat auf ein neues Kapitel der Geschichte über die
Frauen-Soldaten der Heimatarmee warten, die Kriegsgefangene des
Dritten Reiches waren.
Irena Skrzynska , London
|
|