Der Polnische Staat im Untergrund nahm seine
endgültige Gestalt im Frühjahr 1944 an, als am 3. Mai dieses
Jahres - in Anlehnung an das Dekret des Präsidenten der Republik
Polen über die vorübergehende Organisation der Macht auf dem
Gebiet der Republik - der Staatliche Ministerrat (Krajowa Rada
Ministrow, KRM) ins Leben gerufen wurde, an dessen Spitze im
Rang des Vizepremiers Jan Stanislaw Jankowski („Sobol" ) stand.
Zu dieser Zeit existierten bereits: die Heimatarmee (AK, die bis
zum Februar 1942 unter dem Namen Bund des Bewaffneten Kampfes
funktionierte; der Kommandant war General Tadeusz Komorowski
„Bor" ) und der am 9.Januar 1944 formal gegründete Rat der
Nationalen Einheit, (der eigentlich aus der im März desselben
Jahres umgestalteten Politischen Vertretung des Landes
entstanden war), dem Kazimierz Puzak („Bazyli") vorstand. Der
Staatliche Ministerrat (Krajowa Rada Ministrow, KRM) stellte die
Regierung, der Rat der Nationalen Einheit (RJN) das Parlament
und die Heimatarmee (AK) die Streitkräfte dar.
Den für uns interessanten Zeitraum eröffnet
das deutsch-polnische Abkommen über „die Beendigung der Kämpfe
in Warschau" vom 2. Oktober, das dem Warschauer Aufstand ein
Ende setzte. Während dieser bewaffneten Erhebung kamen etwa
10.000 Soldaten der Heimatarmee und anderer Formationen ums
Leben, 7.000 wurden vermisst und 5.000 schwer verwundet.
Auch150.000 Zivilisten kamen ums Leben. Darüber hinaus führten
die von deutscher Seite geplanten Aktionen sowohl während des
Aufstandes, als auch nach seiner Beendigung, zur Zerstörung von
etwa 70 Prozent des Vermögens der Hauptstadt. Die Streitkräfte
der Aufständischen, die unmittelbar vor der Kapitulation in die
Warschauer Korps der AK umstrukturiert wurden (die 8.
Infanteriedivision „Romuald Traugutt", die 10.
Infanteriedivision „Stefan Okrzeja" als auch die 28.
Infanteriedivision „Maciej Rataj"), verließen das Kampfgebiet
bis zum 5. Oktober und kamen in deutsche Gefangenschaft. Die
Zivilbevölkerung wurde über das Durchgangslager in Pruszkow zur
Zwangsarbeit nach Deutschland verbracht (ca. 165.000), oder
wurde in das Generalgouvernement umgesiedelt (etwa 350.000;
außerdem wurde ein Teil der Jugend in Arbeits- oder
Konzentrationslager deportiert.
Aus dem Untergang des Aufstandes
resultierten vorübergehende Schwierigkeiten in der Führung der
Heimatarmee. Trotzdem nahm bereits im Oktober die von General
Leopold Okulicki („Niedzwiadek" ) wiedergegründete
Hauptkommandantur ihren Dienst auf. Okulicki wurde im Oktober
1944 durch General Komorowski in der Position des Kommandanten
der Streitkräfte im Land ersetzt. Gleichzeitig dauerten die
sowjetischen Repressionen gegen die Offiziere und Soldaten der
Heimatarmee an. Nach Schätzungen wurden von Sommer bis Dezember
1944 auf den Gebieten des sogenannten. „Lubelski-Polens" ca.
30.000 Mitgliedern dieser Formation verhaftet. In Anbetracht
dieser Lage gab General Okulicki am 19. Januar 1945 den Befehl
zu ihrer Auflösung. Ein großer Teil ihrer Mitglieder blieb aber
aus Angst vor verschiedenartigen Repressionen in der
Konspiration und ging bewaffnet gegen die kommunistischen
Machthaber, besonders gegen den Terrorapparat und die mit ihm
verknüpften Strukturen der Polnischen Arbeiterpartei (Polska
Partia Robotnicza, PPR) vor.
In Polen funktionierte, wie schon erwähnt,
die konspirative Vertretung der geflohenen Exekutive - die
Regierungsdelegatur der Republik für das Land (Delegatura Rzadu
Rzeczypospolitej na Kraj), vom Mai 1944 als der Staatliche
Ministerrat (KRM). Ihre Tätigkeit wurde vom Vertreter der
Regierung im Lande J.S. Jankowski geleitet. Die Delegatur wurde
in Abteilungen aufgeteilt, die den zentralen Ämtern der
staatlichen Verwaltung vor dem Krieg entsprachen. Es sollte
daran erinnert werden, dass bereits seit 1942 auch das Büro der
Neuen Gebiete (Biuro Ziem Nowych) tätig war, welches die Rechte
Polens auf Gebiete im Westen und Norden dokumentierte und Fragen
ihrer Bewirtschaftung erarbeitete. Auf dem Land wirkte ein Netz
von Bezirks-(Wojewodschafts-) und Kreisdelegaturen.
Nach der Niederschlagung des Warschauer
Aufstandes setzten der Vizepremier und die Minister ihre
konspirative Tätigkeit außerhalb der Hauptstadt, in Krakau und
in Piotrkow Trybunalski fort. Nach der Januaroffensive der Roten
Armee bewegte das NKWD die Anführer des Polnischen Staates im
Untergrund (PPP) (darunter auch Mitglieder des KRM) aus dem
Untergrund aufzutauchen. Unter dem Vorwand, Verhandlungen
aufnehmen zu wollen, verhaftete das NKWD diese Personen am 27.
März in Pruszkow. Bereits am folgenden Tag wurden sie nach
Moskau überführt, wo sie im Juni dieses Jahres in einem auf
gefälschten Beweisen gestützten Prozess zu Gefängnisstrafen
verurteilt wurden. Inzwischen entschieden im April 1945 die
Mitglieder des PPP, die noch frei waren, den KRM nicht wieder
ins Leben zu rufen. Fast gleichzeitig, am 11. desselben Monats,
übertrug der Premierminister Tomasz Arciszewski dem bisherigen
Abteilungsdirektor für die Inneren Angelegenheiten der
Delegatur, Stefan Korbonski, die Regierungsvollmacht für die
Leitung der laufenden Projekte der Delegatur.
Während des Warschauer Aufstandes kündigte
der Rat der Nationalen Einheit (RJN) - in einem am 15. August
erschienenen „Aufruf an die Polnische Nation" - weitreichende
gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen in der
künftigen Gestalt des Landes an. Später, am 22. Februar 1945,
protestierte er gegen die Beschlüsse, die von den Großmächten in
Jalta auf der Krim in der polnischen Frage gefasst wurden und
erklärte gleichzeitig seine Bereitschaft, an der Bildung einer
Interimsregierung der nationalen Einheit mitzuwirken. Zwischen
Mai und Juni 1945 wurde nach den Festnahmen in Pruszkow der RJN
in kleinerem Umfang wieder gegründet. Eine wesentliche Zäsur in
der Geschichte des PPP war am 28. Juni 1945 die Umgestaltung der
Interimsregierung der Republik Polens (die eine Nachfolgerin des
Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung war) in die
Interimsregierung der Nationalen Einheit durch die Kommunisten,
in welcher Stanislaw Mikolajczyk Vizepremierminister wurde.
Dieser Zug ging mit einer Krise im
Machtzentrum des PPP einher, bereits Anfang Mai 1944 beantragte
die Volkspartei(SL) die Auflösung der Delegatur und die
Erschaffung einer anderen Leitungszentrale und forderte
gleichzeitig die Verabschiedung eines Misstrauensvotums für die
Regierung Arciszewskis. Die Vermittlungsversuche der Regierung
der Republik Polen in London führten zu keinem positiven
Resultat. In der Konsequenz dessen legte das Mitglied der
Volkspartei (SL) Korbonski in der Sitzung vom 27. Juni sein Amt
vor dem Vorsitzenden der Versammlung Jerzy Braun nieder. In der
Folge weiterer Verhandlungen fiel die Entscheidung über die
Selbstauflösung des Rates der Nationalen Einheit (RJN) und die
Aufhebung der Delegatur. Formal geschah das am 1.Juli desselben
Jahres. Zeitgleich verabschiedete der RJN zwei bedeutende
Dokumente: „Das Manifest an die Polnische Nation und an die
Vereinten Nationen" und „Das Testament des Kämpfenden Polens".
Im ersten Dokument wurden die Kriegsziele Polens und seine
Politik gegenüber der UdSSR zusammengefasst, im zweiten wurde
das Konzept für die Zukunft vorgezeichnet, das sich auf den
Rückzug der sowjetischen Truppen aus dem Land, der Einstellung
der Verfolgung von Soldaten und Funktionären des PPP und der
Einführung eines demokratischen Systems stützte. Auch wurde die
Notwendigkeit von wesentlichen wirtschaftlichen und sozialen
Reformen unterstrichen.
Währenddessen wurde im Frühjahr 1944 die
militärische Kaderorganisation „Nie" („Niepodleglosc") formiert,
die den Unabhängigkeitskampf Polens auf den Gebieten fortsetzen
sollte, die von der Roten Armee besetzt waren und wo die
Kommunisten die Macht übernommen hatten. Ihre Kommandanten waren
in Folge: März bis Juli1944: Oberst Emil Fildorf („Nil"),
Juli1944 bis Januar 1945: General Okulicki, März bis Mai 1945:
Oberst Jan Rzepecki („Prezes"). Sowohl den Mitgliederstamm, als
auch die technischen und finanziellen Mittel sollte sie von der
aufgelösten Heimatarmee übernehmen. Die Realisation des Planes
„Gewitter" und der Warschauer Aufstand zerrütteten die sich
herausbildenden Strukturen erheblich. Nach der Auflösung der
Heimatarmee nahm „Nie" eine eigenständige Tätigkeit in drei
Gebieten auf:im Zentralen - (Kommandant Oberst Jan Mazurkiewicz
„Radoslaw"), im Westlichen - (Kommandant Oberstleutnant Jan
Szczurek-Cergowski („Debor") und im Südlichen - (Kommandant NN).
Ihre Tätigkeit war auf den Nachrichtendienst und die Propaganda
beschränkt. Im Mai 1945 löste der bevollmächtigte
Oberbefehlshaber General Wladyslaw Anders die Organisation auf
Antrag von Oberst Rzepecki auf, da er davon überzeugt war, sie
sei nicht mehr konspirativ genug.
Im März/April dieses Jahres begann der
Bevollmächtigte des Kommandanten der Landesstreitkräfte Oberst
Rzepecki („Ozog") mit der Gründung einer weiteren
gesamtpolnischen Militärorganisation - der Delegatur der
Streitkräfte für das Land (Delegatura Sil Zbrojnych na Kraj,
DSZ). Am 7.Mai 1945 wurden diese Handlungen von General Anders
bestätigt. Ihre wesentlichen Aufgaben waren: die Konsolidierung
des militärischen Untergrundes, die Informierung der
Exilregierung der Republik Polen über die Situation im Lande als
auch der Schutz der Bevölkerung und der konspirativen Strukturen
vor den Aktionen des nationalen polnischen und sowjetischen
Sicherheitsapparates, die Durchführung von patriotischer und
gleichzeitig antisowjetischer Propaganda in der Polnischen
Volksarmee (Ludowe Wojsko Polskie, LWP), die komplexe Verbindung
mit der Londoner Zentrale (die Zuführung nicht nur von
Korrespondenz und materiellen Gütern sondern auch von Menschen)
und schließlich die Unterstützung der um Mikolajczyk gruppierten
politischen Opposition im Land.
Der Gesandte der Streitkräfte wurde Oberst
Rzepecki. Seine Vollmachten waren nahezu analog zu denen, mit
denen einst die Kommandanten der Heimatarmee ausgestattet waren.
Politisch unterstand er dem Gesandten der Regierung der Republik
Polen für das Land. Die Delegatur der Streitkräfte für das Land
(DSZ) machte sowohl von den durch das „Nie" ausgearbeiteten
Operationsstrukturen, als auch von ihren materiellen Basis
Gebrauch. Unter organisatorischen Gesichtspunkten wurde sie in
drei Gebiete eingeteilt: dem Zentralen (unter dem Kommandanten
Oberst Mazurkiewicz; die Bezirke Bialystok, Kielce, Lublin,
Lodz, Warschau), dem Südlichen (unter dem Kommandanten Oberst
Antoni Sanojca „Cis"; die Bezirke Krakau-Rzeszow, Oberschlesien,
Niederschlesien) und dem Westlichen (unter dem Kommandanten
Oberstleutnant Szczurek-Cergowski; die Gebiete Bydgoszcz,
Poznan, Szczecin, Gdansk, Olsztyn). Die Hauptprämissen der
Hauptkommandantur der Delegatur der Streitkräfte für das Land
(DSZ) gingen davon aus, dass ein bewaffneter Kampf sinnlos sei,
dennoch benutzten sie die Selbstverteidigung und den
individuellen Terror. Sie führte Propagandatätigkeiten (unter
anderem in den Zeitschriften „Polska i Swiat" (Polen und die
Welt) und „Mysl Niepodlegla" (Der Gedanke der Unabhängigkeit)
durch. Überdies richtete sie, natürlich in Anbetracht der
verstärkten Pazifizierungsaktionen (die sowohl durch das NKWD,
als auch die durch die von der Nationalen Volksarmee (LWP)
unterstützten Delegaturen - zuerst das Amt für Öffentliche
Sicherheit (Urzad Bezpieczenstwa Publicznego) und vom Januar
1945 das Ministerium für Öffentliche Sicherheit (Ministerstwo
Bezpieczenstwa Publicznego geführt wurden) einen erfolglosen
Appell an ihre Gebietsorganisationen im Land, der die bewaffnete
Tätigkeit einschränken sollte.
Unterdessen begannen sowohl das NKWD, als
auch die von der Polnischen Arbeiterpartei (Polska Partia
Robotnicza, PPR) erschaffenen Sicherheitsstrukturen eine
unerbittliche Abrechnung mit der patriotischen
Widerstandsbewegung. In der ersten Etappe wurden die sich
während des Planes „Gewitter" offenbarenden Einheiten der
Heimatarmee sowie auch zivile Organe der staatlichen
Administration zerschlagen. Die Mitglieder der Heimatarmee hielt
man in ehemaligen deutschen Lagern und Gefängnissen fest, unter
anderem in Majdanek, auf dem Schloss in Lublin, in Nowinki,
Krzesimow, oder auch Trzebuska. Oftmals wurden vor allem die
Offiziere in die UdSSR deportiert. In den östlich der
Curzon-Linie gelegenen Gebieten wurde oft die
Gruppenverantwortung angewandt, Verwundete ermordet, Gefangene
hingerichtet. In dieser Situation nahmen die Strukturen der
Heimatarmee - besonders in den nord-östlichen Peripherien der 2.
Republik - ungeachtet der Aussichtslosigkeit ihrer Lage, den
bewaffneten Kampf auf.
Die im Lande sich vollziehenden politischen
Veränderungen und die wachsende Überzeugung der Notwendigkeit
einer Umgestaltung aus einer militärischen Organisation in eine
zivile Struktur, führten am 5. August 1945 zur Auflösung der
Delegatur der Streitkräfte für das Land (DSZ). Infolgedessen
wurde am 2. September dieses Jahres der Bund „Wolnosc i
Niezawislosc" (Freiheit und Unabhängigkeit) (eigentlich: „Ruch
Oporu bez Wojny i Dywersji „Wolnosc i Niezawislosc""
(Wiederstandsbewegung ohne Krieg und Diversion „Freiheit und
Unabhängigkeit")) ins Leben gerufen. Er übernahm die Mehrzahl
der Strukturen und Kader als auch der materiellen Bestände der
DSZ, und der erste Präsident der Hauptverwaltung war (in der
Zeit von September bis November 1945) Oberst Rzepecki.
Wojciech Rojek, Krakau