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Die
Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch
die
Großzügigkeit der Stiftung de Brzezie Lanckoronski ermöglicht.
Als am 1.
August 1944 der Warschauer Aufstand ausbrach, war ein düsteres
Nachspiel von deutscher Seite vorauszusehen. So stellte Heinrich
Himmler zusammenfassend fest, als er Hitler über die
Vorkommnisse informierte, dass „die Aktionen der Polen ein
Segen" seien. „Wir machen sie fertig...Warschau wird liquidiert
und die Stadt...die Hauptstadt des Volkes...die uns über 700
Jahre in unserem Drang nach Osten aufhielt...wird aufhören zu
existieren".
Im Jahre 1944 hatte sich Polen einen
herausragenden Platz in der so genannten „Weltanschauung" der
Nazis verdient. Als Erbe einer langen Tradition der Rivalität
mit seinem westlichen Nachbarn, drängte es im Jahre 1939 den
deutschen Ansturm zurück und nötigte Hitler zu einem offenen
Konflikt, den er eigentlich vermeiden wollte. Überdies besaß
dieser Staat, als wenn es nicht schon genug Ursachen zur
negativen Bewertung durch die Machthaber in Berlin gegeben
hätte, die größte Population der jüdischen Bevölkerung in ganz
Europa.
Deshalb war das Besatzungsregime in Polen
besonders brutal. Polen sollte von der Karte Europas entfernt
werden. Ausgesondert und nach primitiven rassischen Kriterien
sortiert, wurde seine Bevölkerung in das Generalgouvernement
gezwängt, mit der Hauptstadt „in der alten deutschen Stadt
Krakau". Während der eine Teil zur Vernichtung vorgesehen war,
sollte der Rest als nur halb ausgebildete, sklavische Kaste die
Aufgabe haben, seinen neuen, deutschen Herren zu dienen. Im
Gegensatz zu fast allen anderen besetzten Völkern, machte Berlin
den Polen das Angebot zur Kollaboration niemals. Selbst als sie
die letzten ´Freiwilligen` für den ‘antibolschewistischen
Kreuzzug’ suchten, war der Gedanke - eine polnische Division der
Waffen-SS zu gründen - für sie undenkbar. In anderen Ländern
hatten sie diese Skrupel eher nicht.
Auch Warschau erzürnte die Deutschen. Als
Hauptstadt der Zweiten Republik symbolisierte sie im Jahre 1939
eine stolze Gegenwehr. Als eines der Hauptzentren der polnischen
Juden, stand sie symbolisch für ihre reichen Traditionen. Somit
war also diese Stadt für eine radikale Reorganisation
vorgesehen. Gemäß den Plänen von 1940 sollte das Territorium
Warschaus um ein Zehntel und ihre Bevölkerung um ein Viertel
reduziert werden, welche daraufhin durch den Zuzug deutscher
Siedler ergänzt werden sollte. Zur selben Zeit plante man den
Status Warschaus systematisch zu reduzieren, um es in eine
zweitrangige Provinzstadt umzuwandeln. Die Hauptstadtfunktion
und der den Deutschen entgegengebrachte Widerstand sollten nur
als Erinnerung bestehen bleiben.
Durch die eigene Propaganda und das selbst
entworfene schräge Bild von der Welt verblendet, waren die
Deutschen außerstande, im polnischen Volk etwas mehr als eine
Ansammlung Widerständler, Rückfälliger und Banditen zu sehen.
Also betrachteten sie die Entwicklung der Ereignisse in Warschau
im August 1944 als lebendiges Sinnbild dieser Anschauung. Es war
deshalb auch nicht überraschend, dass die ersten, zur
Niederschlagung des Aufstandes bestimmten Streitkräfte Einheiten
waren, die im ‘Anti-Partisanen’- Kampf berühmt - berüchtigt
waren. An ihrer Spitze stand der SS-General Erich von dem Bach,
ein Veteran schmutziger Kriege der SS, der zuvor der
Befehlshaber im Anti-Partisanenkampf an der Ostfront gewesen
war. Er kommandierte zwei Einheiten, die selbst unter anderen
Nazi-Einheiten zu trauriger Berühmtheit gelangt waren: die
Brigade Dirlewangers, die nachweislich aus Kriminellen
zusammengesetzt und von einem Päderasten befehligt wurde und die
Brigade Kaminski, der verschiedenartige ehemalige sowjetische
Zivilisten und Deserteure angehörten. Diese beiden Brigaden
hatten sich bereits durch einige der bestialischsten Aktionen
des gesamten Krieges ausgezeichnet, und in Warschau sollten sie
noch größere Schande auf sich laden.
Die erste Phase der deutschen Kampagne in
Warschau kann man aus deutscher Sicht als die Vernichtung einer
gewissen Anzahl von ´Schädlingen` charakterisieren. So sah es
buchstäblich aus, als beispielsweise Anfang August die ersten „Anti-Partisanen"-
Einheiten in die westliche Vorstadt durch die Stadtbezirke Wola
und Ochota vorrückten. Die in vielen Aktionen des
Partisanenkampfes an der Ostfront erworbenen Fähigkeiten
nutzend, setzten die Soldaten dieser Einheiten Häuser in Brand
und massakrierten alle angetroffenen Männer, Frauen und Kinder.
In anderen Teilen der Stadt zeigen die
deutschen Kräfte anfangs in einer Selbstsicherheit ihre
Überlegenheit über die Polen, die an Arroganz grenzte. Die
festgelegte Strategie bestand aus zwei Etappen. Zuerst sollten
die Artillerie und die Luftwaffe die Positionen der
Aufständischen intensiv bombardieren, und danach sollte der
Frontalvorstoß zu Lande erfolgen. Auf diese Weise wurde
beabsichtigt die überwältigende Feuerkraft und die
unvergleichlich bessere Kriegsausrüstung zu demonstrieren, was
die leicht bewaffneten Aufständischen einschüchtern und zur
Kapitulation unter minimalem Einsatz von (natürlich deutschem)
Menschenleben nötigen sollte. Es zeigte sich aber, dass diese
Annahmen sowohl im ersten als auch im zweiten Falle fehlerhaft
waren.
Die Aufständischen ließen sich nicht
einschüchtern. Sie ergaben sich nicht, vielmehr wehrten sie des
öfteren die deutschen Angriffe auf ihre Positionen erfolgreich
ab, während der Bombenhagel der Fliegerangriffe nahezu ideale
Bedingungen für den aufständischen Kampf in der Stadt lieferte.
Angesichts der überwältigenden Übermacht des Feindes zerstreuten
sich die Formationen der Aufständischen zunächst, um darauf ihre
Reihen wieder zu schließen und an anderer Stelle anzugreifen.
Die am Tage verlorenen Stellungen wurden unter dem Mantel der
Nacht zurückerobert. Unsichtbare Scharfschützen lauerten in den
Schatten, um unerwartet den Feind zu treffen. Auf verlassenen
Barrikaden hinterließ man Fallen, und von den oberen Stockwerken
flogen Flaschen mit Benzin. In Kürze wurde es den deutschen
Soldaten auf den Schlachtfeld (wenn auch noch nicht ihren
Vorgesetzten) bewusst, dass sie es mit einem Gegner zu tun
hatten, der sowohl einfallsreich, als auch tödlich gefährlich
war. Die Kampagne, die anfangs als einfache Operation zur
Säuberung des Gebietes von spärlich bewaffneten und schlecht
ausgebildeten ´Banditen` vorgestellt wurde, wandelte sich nun
(in der deutschen Auffassung) in eine bedeutend ernstere
Angelegenheit um. Ein wenig Achtung vor dem polnischen Gegner
zeigte sich nunmehr sowohl in der offiziellen als auch in der
inoffiziellen Korrespondenz. Es wurden sogar Vergleiche zu
Stalingrad gezogen.
Also wurde den Deutschen am Ende des ersten
Monats bewusst, dass die von ihnen gewählte Strategie
wirkungslos war. Die Politik des Auslöschens im´Anti -
Partisanen’ Kampfstil vervielfachte die Menge der zum Kampf
bereiten Menschen und festigte die Entschlossenheit der
Aufständischen. Von dem Bach kam zu der Überzeugung, dass er
dennoch Verhandlungen aufnehmen müsse und er diesbezüglich
gezwungen sein würde, dem Feind eine gewisse Achtung
entgegenzubringen. Nach langen Verhandlungen wurde den
polnischen ´Banditen` hohe Wertschätzung zugebilligt. Sie
sollten als Kombattanten der alliierten Kräfte anerkannt werden,
die nach der Kapitulation die gleiche Behandlung beanspruchen
könnten, wie die Kriegsgefangenen aus westlichen Armeen. Es
wurde zugesichert, dass es keinerlei Vergeltungsmaßnahmen weder
an der Zivilbevölkerung, noch Repressalien an festgenommenen
Personen geben würde. Im großen und ganzen wurden diese
Absprachen eingehalten.
Während die Verhandlungen andauerten, wurden
die Kämpfe dennoch fast einen Monat weitergeführt. In dieser
Zeit wurden sich manche Deutsche einiger unbequemer Wahrheiten
bewusst. „Es ist eine traurige Wahrheit, dass sie besser als wir
kämpften", schrieb einer. Ein anderer war noch enttäuschter: „Es
ist mir klar geworden" - schrieb er - „dass nicht wir das Volk
sind, welches Kraft, Nationalgefühl und Opferbereitschaft
verkörpert". Er fügte noch hinzu: „Die Polen zeigten sich von
einer Seite, an die wir nicht heranreichen".
Erst als der Aufstand Anfang Oktober endlich
zum Ende kam und die erschöpften und ausgehungerten
Aufständischen sich versammelten, um die Waffen niederzulegen
und in die Gefangenschaft zu marschieren, sahen die deutschen
Soldaten zum ersten Mal in die Gesichter ihrer Gegner. Es konnte
ihnen nur imponieren. In Briefen an die Familie beschrieben
einige die „edle Haltung" der polnischen Kombattanten und
stellten das Bild der in geschlossener Formation marschierenden
Männer dem propagandistischen Stereotyp der Horde von ´Banditen`
und ´Unruhestiftern` entgegen. Andere bewunderten schreibend
ihren „vorbildlichen" und „unbeugsamen Patriotismus". Die,
welche die Kapitulation der Polen erlebt haben, denen blieb sie
in jeder Weise unvergeßlich.
Doch das vielleicht größte Kompliment wurde
durch General Reinhard Gehlen ausgesprochen. Er war Chef der
Abteilung Fremde Heere Ost, die einen Nachrichtendienst
auf dem Gebiet der Feinde des Reiches im Osten aufgebaut hatte.
Gehlen untersuchte wiederholt die Daten zur polnischen
Untergrundarmee (AK) und war sicherlich auch mit dem Verlauf des
Warschauer Aufstandes bestens vertraut. Im Frühjahr 1945 wurde
er nach Berlin berufen, um bei der Verabschiedung Jener anwesend
zu sein, die man mit der Gründung der deutschen
Untergrundorganisation Wehrwolf beauftragt hatte, die
nach der zu erwartenden Okkupation durch die Alliierten den
Kampf fortsetzen sollte. Er wurde nach der Gestalt gefragt, die
seiner Meinung nach die Organisation Wehrwolf annehmen
sollte. Daraufhin gab er zur Antwort, dass es gut wäre, wenn sie
sich die polnische Heimatarmee zum Vorbild nehmen würde.
Zwei Monate nach der Beendigung des
Aufstandes wurde verfügt, den deutschen Soldaten, die an der
Niederschlagung des Warschauer Aufstandes mitgewirkt hatten, ein
Auszeichnungsabzeichen für den Arm in Form eines Schildes zu
überreichen. Sie war für all diejenigen vorgesehen, die an den
Kämpfen in der Stadt mindestens sieben Tage beteiligt waren,
dort verwundet wurden, oder mindestens 28 Tage in
Versorgungseinheiten gedient hatten. Mit der Produktion dieser
Abzeichen wurde begonnen, jedoch zerstörte ein alliierter
Fliegerangriff sie zusammen mit den Produktionsmaschinen.
Letztlich erhielt kein einziger Soldat jemals ein solches
Abzeichen. Dennoch ist dieses Vorhaben selbst bereits
aussagekräftig. Auf dem Schild stand die Aufschrift „Warschau
1944", und ein deutscher Adler mit einem Hakenkreuz auf der
Brust, umklammert in seinen Fängen eine zusammengerollte
Schlange. Im Warschauer Aufstand verdienten sich die Polen die
große Bewunderung der Fremden, offiziell wurden sie aber
weiterhin als Volk der Schlangen betrachtet.
Roger Moorhouse, UK
- Zitat aus Noakes und Pridlam (Verf.), Nazism 1919-1945,
Band III, Exeter 1988, S.996
- Heinrich Stechbarth, Tagebucheintrag vom 4. Oktober 1944
- Peter Stolten, Brief aus Warschau, 5.Oktober 1944
- Peter Stolten, Brief aus Warschau, 6.Oktober 1944
-
The service: The
Memoirs of General Reinhard Gehlen, New York 1972